Lisa Su: Die Ingenieurin, die AMD rettete und ein Technologie-Imperium schuf

Vom Krisenfall zum globalen Kraftpaket: Wie eine stille, brillante Frau ein sterbendes Unternehmen neu erfand

Einleitung

Manchmal sind die wirkungsvollsten Führungskräfte nicht die lautesten. Sie suchen nicht das Rampenlicht, sondern verändern die Welt durch visionäres Denken, tiefes Fachwissen und unbeirrbare Entschlossenheit. Lisa Su ist genau so eine Führungspersönlichkeit.

In einer Technologiewelt, die von schillernden Figuren wie Elon Musk oder Jensen Huang dominiert wird, hat AMDs CEO eine der beeindruckendsten Unternehmenswenden der letzten Jahrzehnte erreicht – mit Demut, Präzision und einem bemerkenswerten Verständnis für Technologie und Geschäft.

Im Jahr 2024 wurde Lisa Su vom Magazin Time zur „CEO des Jahres“ gekürt – eine überraschende Wahl für viele, da NVIDIA zu diesem Zeitpunkt an der Börse und im KI-Sektor dominierte. Doch diese Entscheidung machte deutlich: Echte Führung zeigt sich nicht durch Schlagzeilen, sondern durch Ergebnisse, Ausdauer und Weitblick.

Dies ist die Geschichte, wie Lisa Su ein sterbendes AMD übernahm und es innerhalb eines Jahrzehnts in ein global führendes Halbleiterunternehmen verwandelte. Eine Reise, die in Taiwan beginnt, über das MIT und IBM führt und mitten in einem der härtesten Technologiekämpfe unserer Zeit mündet: dem Rennen um die Zukunft des Computing.

Von Taiwan zum MIT: Die Wurzeln eines brillanten Geistes

Lisa Su wurde im November 1969 in Tainan, Taiwan, geboren – in eine gebildete und ehrgeizige Familie. Ihr Vater, ein talentierter Mathematiker, erhielt ein Stipendium für ein Doktoratsstudium in Statistik an der Columbia University in New York. Die Familie zog in die USA, als Lisa drei Jahre alt war.

Schon früh fiel sie als außergewöhnlich begabte Schülerin auf. Sie gewann den renommierten Westinghouse Science Talent Search und wurde mit nur 17 Jahren am MIT aufgenommen. Dort absolvierte sie ihren Bachelor, Master und ihre Promotion in Elektrotechnik – und schloss ihre Doktorarbeit bereits mit 24 Jahren ab.

Interessanterweise wurde sie auch an der Juilliard School angenommen – als begabte Pianistin –, entschied sich aber für Ingenieurwesen, weil es „das Schwierigste war“. Diese Entscheidung sollte nicht nur ihr Leben, sondern auch AMDs Zukunft prägen.

Eine Karriere mit konstantem Aufstieg

Bevor sie zu AMD kam, hatte Lisa Su bereits eine eindrucksvolle Karriere im Halbleiterbereich hinter sich. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie bei Texas Instruments und später bei IBM, wo sie an der Entwicklung der „Silicon-on-Insulator“-Technologie beteiligt war – ein bedeutender Schritt in der Effizienzsteigerung von Chips.

Mit 30 Jahren wurde sie zur technischen Assistentin des IBM-CEOs Lou Gerstner ernannt – mitten in einer Phase tiefgreifender Umstrukturierung. Diese Erfahrung gab ihr einzigartige Einblicke in Krisenmanagement und Unternehmensführung.

Später gründete sie IBMs Abteilung für Spielekonsolen-Prozessoren und entwickelte Chips für Sony, Microsoft und Nintendo – was ihr den Spitznamen „Königin der Gaming-Technologie“ einbrachte.

Im Jahr 2007 wechselte sie zu Freescale Semiconductor als CTO. Dort holte sie Großkunden wie Amazon und Sony ins Boot, begleitete den Börsengang des Unternehmens und wurde schließlich Senior Vice President und General Manager für Networking und Multimedia.

Ein mutiger Schritt: Eintritt in ein sterbendes Unternehmen

2012 wagte Lisa Su einen riskanten Karriereschritt: Sie wurde COO bei AMD – zu einem Zeitpunkt, an dem das Unternehmen am Abgrund stand. Der Aktienkurs lag unter 2 US-Dollar, die Bilanz war tiefrot, Schulden drückten, und der Marktanteil war praktisch verschwunden.

Die Branche hatte AMD längst abgeschrieben. Intel dominierte den CPU-Markt, NVIDIA regierte bei den Grafikkarten. Selbst im Unternehmen war der Glaube an eine Wende schwach.

Doch Lisa Su sah Potenzial, wo andere nur Probleme sahen.

2014 wurde sie zur CEO ernannt – als erste Frau an der Spitze von AMD. Sie war damals 45 Jahre alt. Ihre erste Botschaft an das Team: „Ich glaube, wir können die besten Produkte der Branche bauen.“

Der Comeback-Plan: Strategie statt Hype

Lisa Sus Plan zur Wiederbelebung von AMD basierte auf drei zentralen Säulen: schlankere Prozesse, Wiederaufbau des Kundenvertrauens und technologische Spitzenprodukte.

1. Fokussierung und Restrukturierung

Sie begann mit einem harten, aber notwendigen Schritt: der Verschlankung des Unternehmens. Schwache Geschäftsbereiche wurden gestrichen, die Mitarbeiterzahl reduziert und alle Ressourcen auf ein einziges Ziel gelenkt – die Entwicklung einer neuen Chip-Architektur.

Diese Architektur sollte „Zen“ heißen – ein kühnes, von Grund auf neu entwickeltes Design, das AMDs letzte Chance bedeutete. Vier Jahre und hunderte Millionen Dollar später war es so weit.

2. Kundenvertrauen zurückgewinnen

Lisa Su nahm den Wiederaufbau persönlich in die Hand. Sie fuhr selbst zu Kundenterminen, las Nutzerkommentare mit Google Translate, um Probleme besser zu verstehen, und beteiligte sich an Produkttests.

Eine bekannte Anekdote erzählt, wie sie vier Stunden durch Schnee und Eis fuhr, um mit HPEs CEO über eine Partnerschaft zu sprechen. Ihre persönliche Präsenz und ihr technisches Know-how überzeugten.

3. Die Geburt von Ryzen

2017 war es so weit: AMD präsentierte den ersten Ryzen-Prozessor – und die Technik-Welt war begeistert.

Mehr Kerne, bessere Multithread-Leistung, niedrigere Preise: Ryzen war die langersehnte Alternative zu Intels Core-Serie.

Das Internet jubelte. Auf Reddit, YouTube und in Foren kursierten „AMD, YES!“-Memes. Die Community fühlte sich endlich wieder gehört.

Es folgten EPYC-Server-Chips, Radeon-GPUs und leistungsstarke Notebook-Prozessoren. AMD war zurück – stärker als je zuvor.

Vom Außenseiter zum Marktführer

Jahrelang galt AMD als günstige, aber zweitklassige Wahl. Lisa Su änderte dieses Image grundlegend.

Zwischen 2017 und 2020 brachte AMD mehrere Generationen von Ryzen- und EPYC-Chips auf den Markt, gewann Großkunden wie Amazon, Google und Microsoft – und verdoppelte seinen Umsatz.

2022 übernahm AMD für 35 Milliarden US-Dollar das Unternehmen Xilinx – ein Schritt, der Zugang zu KI-, 5G- und FPGA-Technologien brachte.

Im selben Jahr überholte AMD Intel bei der Marktkapitalisierung – zum ersten Mal in der Geschichte.

Familienduell: AMD vs. NVIDIA

Ein bemerkenswerter Fakt: Lisa Su und NVIDIA-CEO Jensen Huang sind entfernte Cousins. Beide stammen aus Taiwan, studierten Elektrotechnik und führen heute konkurrierende Tech-Giganten.

Während NVIDIA seit Jahren den GPU- und KI-Markt dominiert, holt AMD stark auf. 2023 stellte Lisa Su den MI300X vor – einen Chip, der NVIDIAs H100 Konkurrenz macht.

Mit höherer Bandbreite und größerem Speicher ist der MI300X in der Lage, komplexere KI-Modelle auszuführen. 2024 rechnet AMD mit über 2 Milliarden US-Dollar Umsatz durch diesen Chip.

Das Duell Su vs. Huang ist eines der spannendsten der Tech-Branche – nicht nur familiär, sondern auch technologisch.

Eine außergewöhnliche Führungsfigur

Was Lisa Su so besonders macht, ist nicht nur ihr technisches Wissen, sondern auch ihr Führungsstil. Ruhig, analytisch, engagiert.

Sie sucht nicht das Rampenlicht, sondern arbeitet Seite an Seite mit Ingenieuren, stellt kritische Fragen und bleibt in Produktentwicklungen involviert.

Sie setzt sich aktiv für Diversität in MINT-Berufen ein, fördert junge Talente und investiert in Bildungsinitiativen.

Das MIT hat ihr sogar ein Gebäude gewidmet – das Lisa T. Su Building. Eine seltene Ehrung für außergewöhnliche wissenschaftliche Leistungen.

Vermächtnis und Zukunft

Heute beschäftigt AMD über 25.000 Mitarbeiter weltweit und zählt zu den angesehensten Chipherstellern der Welt. Die Gewinne haben sich verdoppelt, der Aktienkurs hat sich verzehnfacht, und der Respekt der Branche ist sicher.

Lisa Su gilt heute als Ikone im Silicon Valley. Sie erscheint regelmäßig auf Listen der mächtigsten Frauen der Welt, wurde von MIT, Forbes und Time ausgezeichnet – und selbst Wettbewerber zollen ihr Anerkennung.

Aber sie ist noch lange nicht fertig. Die nächsten Ziele: mehr Innovation in KI, Cloud-Technologien und neue Chip-Architekturen.

„Ich bin im Herzen immer noch eine Ingenieurin“, sagt sie. Und Ingenieure lösen Probleme – vor allem, wenn sie AMD führen.

Fazit

Lisa Sus Geschichte beweist: Wahre Führung braucht keine großen Worte, sondern klare Visionen, konsequente Umsetzung und einen langen Atem. Sie verwandelte ein gescheitertes Unternehmen in einen Weltkonzern, widerlegte Kritiker und definierte Erfolg neu.

In einer Branche voller Hype und Selbstdarsteller ist Lisa Su der leise Beweis, dass Größe auch ganz still sein kann – aber unvergesslich.